Um zu verstehen, warum die Wortwahl gerade in Kontakt mit einer werdenden Mutter eine so große Rolle spielt, möchte ich euch kurz zusammenfassen, wie Sprachverarbeitung überhaupt funktioniert und was im Gehirn einer Gebärenden vor sich geht.
Unwillkürliche Prozesse wie die Steuerung der Herzfrequenz, des Blutdrucks und der Atmung, die Arbeit der Organe und „primitive Reflexe“ wie zB der Schluckreflex oder der Lidschluss und auch der Schlaf werden im Stammhirn kontrolliert. Dieser Teil des Gehirns ist also für die Aufrechterhaltung aller essenziellen Lebensfunktionen zuständig und sichert so den Fortbestand der Art. Dazu gehört auch das Gebären. Das Stammhirn ist der älteste Teil des Gehirns, den wir von unseren Vorfahren geerbt haben. Der sogenannte Neocortex, der beim Menschen über 90 Prozent der Großhirnrinde ausmacht, hat sich erst viel später entwickelt. Er ist zuständig für kulturelle Fähigkeiten wie Selbstkontrolle, Beherrschung, Lesen etc. und eben auch für die Verarbeitung von Sprache. Der Neocortex sorgt auch dafür, dass „primitive Reflexe“ unterdrückt werden können.
Sprachverarbeitung im Ruhe-Modus
Schon in Vorbereitung auf eine Geburt zeigt sich im Gehirn der Frau eine reduzierte neokortikale Kontrolle. Der Neocortex geht im weiteren Verlauf zunehmend in den Ruhezustand, damit die primitiven archaischen Reflexe ohne Einschränkung arbeiten können. Allein diese Tatsache legt nahe, dass es von der Natur so vorgesehen ist, dass Frauen während ihres Geburtsprozesses nicht in der Lage sind, Sprache komplex zu deuten und zu verarbeiten – ja sogar, dass jegliche Ansprache eigentlich kontra-produktiv ist und jede Anregung des Neocortex die Konzentration des Stammhirns stört.
Im Gehirn spielt während einer Geburt noch ein weiterer Teil eine wichtige Rolle: Das Limbische System. In der Evolution entstand das Limbische System in der Phase der Entwicklung der Säugetiere. Es reguliert die für die soziale Natur der Säugetiere typischen Empfindungen wie Sorge um den Nachwuchs, Angst, Liebe, Lust etc. Die Aufgaben des limbischen Systems sind die Verarbeitung von Gefühlen und die Entstehung des Triebverhaltens, es steuert die Hormone des Körpers und ist die wichtigste Stelle im Gehirn für die Gemütslage und Sozialverhalten. Außerdem wird dort die Ausschüttung von Endorphinen (körpereigene Schmerz- und Glückshormone) gesteuert.
Unsere Sinnesorgane leiten die eintreffenden Wahrnehmungen aus der Außenwelt, mit Ausnahme des Riechens, nicht direkt ans Großhirn weiter. Bevor sie dort eintreffen und bewusst registriert werden können, bearbeitet sie das limbische System: Es färbt sie emotional ein. Dabei entscheidet der Thalamus darüber, welche Informationen wichtig sind und welche unbedeutend. Nur die relevanten Wahrnehmungen dürfen ins Großhirn passieren. Das limbische System hat die Aufgabe, die eintreffenden Informationen – Wortinhalt, Ton und nonverbale Signale – emotional einzufärben, abhängig von der Bedeutung, die sie für uns haben. Dadurch wird uns klar, dass ein- und dasselbe Wort von jeder Frau anders interpretiert werden kann – je nachdem, was sie in ihrem Leben bisher damit verbunden hat. Ein Beispiel dafür ist das Wort „kraftvoll“. Dieses Adjektiv kann im Zusammenhang mit einer Geburt bei einer Schwangeren möglicherweise eine Assoziation von Anstrengung, Mühe und gewaltigen Schmerzen auslösen während andere dieses Wort wiederum als stärkend, motivierend und förderlich für den Geburtsprozess auslegen.
Die einzelnen Vorgänge der Informationsverarbeitung erledigt das Gehirn in Millisekunden. Sie erfolgen unterhalb der Bewusstseinsschwelle und lassen sich willentlich nicht beeinflussen. Das bedeutet: Während eines Gesprächs können wir nicht bewusst entscheiden, welches Gefühl dabei entsteht. Als Doula können wir jedoch schon in der Schwangerschaft auf einfühlsame Weise negative Trigger herausfinden, um als vertraute Person während der Geburtssituation entsprechend zu reagieren. Intensive Gespräche mit der werdenden Mutter über die Erfahrungen, Sorgen, Ängste und Vorstellungen rund um ihre bevorstehende Geburt sind da sehr hilfreich.
Auch Schmerzsignale werden vom limbischen System übrigens erst beäugt und bewertet. Informationen werden mit unbewussten und emotionalen Inhalten vermischt und haben so Auswirkungen auf das Befinden bei Schmerzen. Das limbische System hat also auch Einfluss darauf, wie stark Schmerzen wahrgenommen werden und ob die Wahrnehmung abgeschwächt oder verstärkt ist.
Warum der Placebo- und Nocebo-Effekt während einer Geburt eine besonders große Rolle spielt, lest ihr in Teil 3.
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