In unseren Kulturkreisen wird das Wort Geburt häufig mit Schmerz, Leid, Angst, Qual und Hilflosigkeit assoziiert. Dies steht jedoch konträr zu den Begriffen, die Menschen finden, die unter dem unmittelbaren Eindruck eines Geburtsereignisses stehen: Wunder, Überwältigung, tiefes Berührtwerden, Glück. Alles Bezeichnungen, die darauf hindeuten, dass unsere anerzogenen Erwartungen und das, was Geburt in ihrem Wesen wirklich ausmacht, nicht übereinstimmen. Was wir über Geburt denken und fühlen, entspringt nicht dem natürlichen Ablauf des Geburtsprozesses, sondern unterliegt einer kulturellen Deutung.
Dramatische Szenen
Jeder von uns hat Bilder von schreienden Frauen aus Film und Fernsehen im Kopf, die fluchend einen Kaiserschnitt herbeisehnen, um das alles nicht mehr ertragen zu müssen. Die Sprache ist der Ausdruck unseres Bewusstseins, bei der Weitergabe unserer Geburtsgeschichten sind die Worte, die wir wählen, entscheidend. Nahezu jede Schwangere wird mit Bekanntgabe ihres Zustands den Horrorgeschichten von Freunden und Bekannten ausgesetzt, die Geburt der Nachbarin habe „ewig gedauert“, war „ohne erlösender PDA nicht auszuhalten“, endete mit einem „riesigen Dammschnitt“ oder in einer „Not-OP“. Und das Kind hatte zudem dreimal die Nabelschnur um den Hals. Betrachten wir unter diesem Aspekt das gängige Geburtsvokabular, stellen wir fest, dass die meisten Wörter eher angsteinflößend sind.
Ein Begriff, der jeder Geburt zugehörig ist, ist das Wort Wehe. Googelt man nach Bedeutung und Herkunft, finden sich verschiedene Definitionen: Im Duden bedeutet Wehe die „Zusammenziehung der Muskulatur der Gebärmutter bei der Geburt“ und gibt als Ursprung das mittelhoch-deutsche Wort wēwē an, das Schmerz und Leid bedeutet. Wiktionary definiert die Wehe bereits direkt mit „Geburtsschmerz“. In diesem Zusammenhang finde ich sehr interessant, dass die Deutung des Wortes Wehe, wie wir sie heute verstehen, eigentlich auf einen Übersetzungsfehler bzw. eine freie Interpretation zurückzuführen ist. Das Wort wurde aus dem Hebräischen übernommen. „Etzev“ wird in der Bibel, außer im Geburtskontext, zumeist mit Arbeit und Anstrengung übersetzt. „In den Wehen liegen“ heißt also ursprünglich „die Arbeit einer Frau vollbringen“ und nicht „Schmerz erleiden“. Es war Grantly Dick-Read, ein Arzt Anfang des 20. Jahrhunderts, der diese Fehldeutung erstmals feststellte. In seiner Praxis stieß er auf Frauen, die entgegen aller Annahmen sehr wohl in der Lage waren, unkompliziert und fast schmerzfrei zu gebären. Dieses Phänomen war damals undenkbar und ließ ihn so lange forschen, bis er belegen konnte: Schmerzen und Geburt haben kein symbiotisches und von der Natur vorgesehenes Verhältnis, diese beiden Worte wurden erst von den Menschen untrennbar in Verbindung gebracht.
Kraftvolle Bilder
Ina May Gaskin, die Pionierin der sanften Geburt, erkannte schon in den 70er-Jahren die Bedeutung und die Macht der Worte im Umfeld von Gebärenden und ersetzte das Wort Wehe durch „Welle“. Die Vorstellung von Meereswellen, die sich am Strand oder an den Felsen zuerst klein und ruhig brechen und sich immer wieder zurückziehen sind doch ein so schönes und kraftvolles Bild, das sich mit dem regelmäßigen Kommen und Gehen der Kontraktionen während einer Geburt wunderbar in Zusammenhang bringen lässt. Der Gedanke an Wellen, die immer größer werden, um sich zu einem kraftvollen Wasserturm aufzubäumen, um schließlich wieder zusammenzufallen und zu verebben, steht im krassen Gegensatz zu der uns geläufigen Vorstellung von Wehen, die den Schmerz und das Leid schon sprachwissenschaftlich implizieren. Genauso beeinflusst auch das Wort „Geburtsschmerz“ unser Bewusstsein im Voraus und lässt uns eine schreckliche Erfahrung erwarten. Das Wort „Empfindung“ lässt hingegen offen, wie sich das Geburtsgeschehen individuell anfühlen wird.
Diese eindrucksvollen Beispiele zeigen, wie sehr wir uns der Macht der Wörter, die wir in der Schwangeren- und Geburtsbegleitung verwenden, bewusst machen und nach Begriffen suchen sollten, die die Frauen stärken und schöne Bilder erzeugen. Viele Frauen, die sich mit Hypnobirthing oder „Der friedlichen Geburt“ vorbereiten, werden in ihren Kursen auf die Bedeutung der Wortwahl hingewiesen und auch dort wird das Wort „Welle“ verwendet, „Schmerz“ wird durch „Spannung“ oder „Druck“ ersetzt, „Komplikationen“ durch „spezielle Umstände“ und „Vorwehen“ werden passenderweise „Übungswellen“ genannt. Diese sprachliche Maßnahme kann sehr viel bewirken, denn es ist erwiesen, dass Gedanken und Worte im Körper biochemische Reaktionen auslösen. Wer sich auf den Schmerz konzentriert, der verspürt ihn auch.
Selbstverständlich gibt es auch Frauen, auf die das Wort „Welle“ beängstigend wirken kann, im Vorgespräch sollte also immer kurz darüber gesprochen werden, welche Ausdrucksweise hier bevorzugt werden soll.
Wie schmal der Grat zwischen Aufklärung und Angstmacherei in der Geburtshilfe ist, lest ihr im nächsten Teil.
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